Der Geistesblitz und wie er in die Welt kam: Prolog

Prolog zu einer Serie von Beiträgen zu einer empirischen Studie zum kreativen Denken
Lesezeit: 3 Minuten

Man ist ja nie mit dem Erreichten zufrieden. So haben wir uns eines Tages gefragt, ob wir unsere Innovations-Workshops noch optimieren können, um noch bessere Ideen daraus zu schöpfen.

Das ein oder andere Buch zur Kreativität (eigentlich die meisten der mittlerweile unzähligen) gibt sich als Ratgeber in Sachen Ideenentwicklung und Kreativitätssteigerung: „In 10 Schritten Ideen finden, bewerten, umsetzen“ wird da zum Beispiel versprochen. Man kann mit einem Zauberkasten an Kreativtechniken in nur 30 Minuten seine „kreativen Geister wecken“. Die einen bevorzugen es vielleicht, ihre „Nea Machina, die Kreativitätsmaschine“ anzukurbeln (den Warnhinweis möchte ich nicht unterschlagen: „Vorsicht! Nea Machina kann Ihr Leben verändern“). Die anderen beschreiten möglicherweise lieber einen „spirituellen Pfad zur Aktivierung“ der Kreativität. Warum nicht gleich im „Ideenrausch“ (wird auch als gute Geschenkidee angepriesen!) am „Point Zero“ die Kreativität geradezu „entfesseln“?

Auch Google hilft, wenn man in der Literatur zur Kreativität nicht das Rechte gefunden hat: „Langeweile macht einfallsreich“, „Alkohol lässt das Denken kreativer werden“, „Grün steigert die Kreativität“ und „Die besten Ideen entstehen unter der Dusche“. Auch in der Gehirnforschung wird man fündig: „Alpha-Power im Gehirn“.EinsteinPrima, wir werden also in Zukunft unsere Innovations-Workshops damit einleiten, dass wir mit den Teilnehmern unter einer grün gekachelten Dusche einen Kasten Bier leeren und uns dabei – so gut es geht – gegenseitig anöden, um die Alpha-Power in unseren Gehirnen irgendwie … ja, irgendwie …

Klar weiß ich auch aus eigener Erfahrung wie man Ideen entwickelt, bin ja lange genug in kreativen Branchen tätig. Aber kann ich so ohne weiteres meine Vorlieben beim Ideenentwickeln auf die anderen Teilnehmer eines Innovations- Workshops übertragen, vor allem wenn sie in ganz anderen Bereichen kreativ arbeiten oder bisher noch gar nicht in die Verlegenheit kamen, Ideen für z.B. neue Produkte entwickeln zu müssen?

Ich weiß nicht, ob man das schon Geistesblitz nennen kann, wenn der Groschen sehr langsam fällt. Irgendwann kam uns zur Besinnung, dass wir ja selbst Forscher sind. Wenn wir also wissen wollen, wie wir unsere Innovations-Workshops am besten gestalten und aus dem Dschungel der vielen Ratschläge auf einen asphaltierten Highway gelangen wollen, am besten eine eigene Forschungs-Studie durchführen: Zur Psychologie des kreativen Denkens und kreativer Prozesse.

Wir haben 20 mehrstündige Tiefeninterviews mit professionellen Kreativen durchgeführt. Die Idee war, einfach mal zu schauen wie denn Profis aus verschiedenen Bereichen vorgehen, um daraus Erkenntnisse abzuleiten. Weil wir vermuteten, es könnte mit der kreativen Ideenentwicklung bei Technikern und Wissenschaftlern anders gelagert sein als bei Gestaltern und Künstlern (was sich übrigens nicht bestätigt hat!), kamen je 10 Teilnehmer aus den beiden Domänen:

Wissenschaft / Technik: Chemie, Verfahrenstechnik, Maschinenbau, Industriedesign, Cognitve Science, Informationstechnologie, Prozessautomation, Bionik, Medizintechnik, E-Mobilität

Kunst / Gestaltung: Malerei, Objektkunst, Fotografie, Drehbuch/ Film, Science Fiction Literatur, Animation / Trickfilm, Musik-Komposition, Theaterperformance, Grafikdesign, Produktdesign

Viele Teilnehmer hatten Preise und Auszeichnungen erhalten, haben teils in der Öffentlichkeit bekannte Werke geschaffen. Die Erfinder in der Stichprobe brachten es insgesamt auf über 80 Patentanmeldungen.

Die Kernergebnisse der Studie und abgeleitete Empfehlungen daraus möchten wir in den nächsten Wochen in mehreren Episoden hier vorstellen. Um schon einen kleinen Vorgeschmack zu geben (und natürlich in der heimtückischen Absicht, Neugier zu wecken) eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse:

Kreative Ideenentwicklung wird in der heutigen Effizienz-getrimmten Welt oft unter dem Blickwinkel einer Fließband-Produktionslogik betrachtet, die Ideen wie Rohmaterial behandelt. Das hat eine Analogie zu Goldklümpchen, die man aus dem Schlick wäscht. Je mehr Schlick man sammelt und durchsiebt, um so mehr und bessere Ideen bleiben übrig, die dann in die nächste Produktionsstufe der Ausarbeitung wandern.


Die Ergebnisse der Studie stellen eine solche Sichtweise von Grunde auf infrage. Es zeigte sich bei der Befragung professionell arbeitender Kreativer, dass Ideen keine Entitäten sind, die einen Produktionsprozess durchlaufen, sondern Umwandlungs-Prinzipien sind. Das kreative Denken hat sich als eine gänzlich andere Art des Denkens als logisch-rationales Denken herausgestellt. Kreative sind durch eine besondere Haltung zum Leben geprägt. Der kreative Entwicklungsprozess zeichnet sich durch eine inhärente kreative Prozessintelligenz aus, die sich aus der Tätigkeit selbst heraus entwickelt.

Diese Grundbedingungen lassen sich nicht standardisieren oder mithilfe von „10 Regeln für mehr Kreativität“- Gebrauchsanleitungen erlernen, schon gar nicht in 30 Minuten. Grüne, alkoholisierte Langeweile unter der Dusche kann man als Rezept für höhere kreative Leistung ebenfalls getrost vergessen.

Hier geht es weiter zu Episode 1

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