Ghost in the Shell – Das Ding lebt!

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Natürlich weiß ich – als aufgeklärter moderner Mensch – dass ich nur Spaß mache, wenn ich z.B. mit meinem Computer schimpfe, weil er nicht funktioniert wie er soll. Der hat nichtmals Ohren, geschweige denn würde er mich intellektuell verstehen – und meine Aufregung nachempfinden können, schon gar nicht! Überhaupt ist es purer Aberglaube, Dinge wie Personen zu behandeln und nur in sog. „primitiven“ Kulturen üblich. Gut, auch hierzulande tragen manche Menschen Glücksbringer; es soll einen Tennis-Star geben, der seine Socken während des Turniers nie wechselt. Seit ich das letzte Mal versehentlich einen Spiegel zertrümmert habe, waren mir aber keine 7 Jahre Unglück beschert. Also doch alles Quatsch! Wenn ich bestimmte Lebensmittel meide, dann nicht – wie in Naturvölkern oft üblich – weil sie mit einem magischen Tabu belegt sind– sondern wegen der Kalorien oder Cholesterin, falls letztes nicht ebenso eine Erfindung ist wie probiotische linksdrehende Wasauchimmer. Und wenn mich mal ein seltsames Gefühl befällt, dass die Dinge ein Eigenleben führen, bin ich rational genug, solche irrigen Anwandlungen nicht ernst zu nehmen.

Oder hat sich der Kaffeevollautomat doch gegen mich verschworen, weil immer, wenn ich mir einen Latte machen will, muss ich erst Wasser nachfüllen, obwohl genug drin ist. Hab ich Wasser nachgefüllt, soll ich garantiert erst die Schale ausleeren – die kann doch nicht schon wieder voll sein! -, bevor er mir dann irgendwann – endlich wohlgesonnen – einen Kaffee macht. Er mag mich vielleicht nicht, will mich aus irgendwelchen Gründen ärgern, mir zeigen, wer hier auf wen angewiesen ist, um genügend aufgeputscht in den Tag zu starten? Und dann gibt es noch diese unheilvollen Kettenreaktionen von umfallenden und einstürzenden Dingen, die vermutlich physikalisch berechenbar sind, aber dennoch daher kommen, als hätte ein verschwörerisches Kollektiv tückischer Kamikaze-Objekte zuvor eine ausgeklügelte Strategie in kriegerischer Absicht gegen mich geplant.

Auch wenn wir nicht wirklich daran glauben, dass Dingen eine irgendwie geartete Lebendigkeit inne wohnt – so ganz sicher sind wir uns meist doch nicht. Zumindest werden wir das Gefühl nur schwer los, dass die Dinge uns freundlich gesonnen sind oder sich gegen uns verschworen haben könnten, dass sie vielleicht mit gutem Zureden besänftigt werden können oder mithilfe von Drohungen eingeschüchtert und gehorsam.

Im Zuge der modernen Elektronik erhält das Thema jedoch eine ganz neue Dimension. Rollläden merken selber, wenn es dunkel wird und schließen sich, schon lange halte ich mein Navi für klüger als ich selbst bin, zumindest wenn es um das Wissen über Staus, etc. geht. Die Tendenz, dass elektronische Geräte und Sensoren miteinander vernetzt sind, ist steigend. Nicht nur kauft bald mein Kühlschrank selbständig ein, wenn er feststellt dass etwas fehlt, sondern meldet der Waschmaschine, mit welcher Art von Lebensmittelflecken bei der nächsten Wäsche zu rechnen ist. Wenn mich die Waschmaschine anruft und fragt, ob sie wirklich 60 Grad waschen soll, weil doch ein Schurwollpullover mit hinein geraten ist, bestellt sie mir noch schöne Grüße von der Spülmaschine, dass diese mit meiner neuen Wahl des Spülmittels nun recht zufrieden sei.

Längst werden staufreie Verkehrsleitsysteme ersonnen – und sind technisch bereits machbar – bei denen die Fahrzeuge untereinander vernetzt sind und sich quasi absprechen, wo die Straße frei ist. Wann so ein System, sofern es lernfähig ist, durch kleine sich aufschaukelnde Fehler anfängt seine Eigenarten – bis hin zu einem Eigenleben – zu entwickeln, mag eine unbegründete Angst geschürt aus diversen Science Fiction sein – wir erinnern uns an HAL 9000, den Computer aus Stanley Kubricks: „Odyssee 2001 im Weltall“ oder den Japanischen Anime „Ghost in the shell“. Es könnten auch Computer-Viren in das System eingeschleust werden und gesamte Infrastrukturen lahm legen.

Immerhin – die apokalyptischen Dystopien unbeachtend – macht es dann endlich Sinn, mit meinem Computer zu schimpfen und sicher davon auszugehen, dass die Kaffeemaschine sich gegen mich verschworen hat und Kettenreaktionen herabfallender Dinge gar nichts anderes sein können, als ein kriegerischer Plan gegen mich. In Zukunft sind es die Dinge, die mit uns machtvoll umgehen. Reicht in sog. „primitiven Völkern“ jedoch ein magisches Ritual, um die Macht der Dinge zu bannen, braucht es dann einen hochausgebildeten Computerexperten. Wen wundert es also, dass schon heute in Computerfreak- Kreisen Mythen vom Golem und dem dunklen Geheimnis der Zahl 23 eine blühende Renaissance feiern.

Literaturtipps

Bruno Latour: „Das Parlament der Dinge“
Friedrich W. Heubach; „Das be-dingte Leben“
Hartmut Böhme: „Fetischismus und Kultur“
Jean Baudrillard: „Das System der Dinge“
Katharina Ferus, Dietmar Rübel: „Die Tücke des Objekts“
Konrad Paul Liessmann: „Das Universum der Dinge“
Ludger Lütkehaus: „Unterwegs zu einer Dingpsychologie“
Roger-Pol Droit: „Was Sachen mit uns machen“
Vilém Flusser: „Dinge und Undinge“

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