AI-Jukebox: Wenn Maschinen Musik machen

Kann künstliche Intelligenz (KI) eine Inspirationsgrundlage für Künstler, Designer oder Komponisten sein? Ich wollte herausfinden, wie es um die kreativen Fähigkeiten von KI steht – hier am Beispiel ChatGPT und Musik. Eine Dokumentation eines kleinen Experiments.

Lesezeit: 4 Minuten

Die Aufgabe

Absicht war nicht, Musik komplett von einer KI produzieren zu lassen. Es soll solche Programme geben, die meines Wissens für „Gebrauchsmusik“ (Musik in Fahrstühlen, Telefon-Warteschleifen, Messen etc.) auch schon genutzt werden. Gehört habe ich bisher noch nichts davon, zumindest nicht bewusst. Ziel war, von der KI eine erste Grundlage für die weitere musikalische Ausgestaltung zu erhalten, Input, Inspiration also, vielleicht ein ungewöhnlicher Anfang, oder gar ein musikalischer Geistesblitz.

ChatGPT hatte sich mir schon vor einiger Zeit als besserwisserischer Alleskönner vorgestellt, so dass meine Idee war, ChatGPT eine Akkordfolge komponieren zu lassen. Die Akkordfolge sollte harmonisch aber dennoch interessant und neuartig sein, 32 Takte lang und auf dem Grundakkord Dmaj7 aufbauen.

Das Ergebnis

Das hier habe ich bekommen:

| Dmaj7 | Bbmaj7#11 | Gmaj7#11 | F#7sus4b9 |

| Bbmaj7#11 | Gmaj7#11 | F#7sus4b9 | Em7b5 A7#5 |

| Gmaj7#11 | F#7sus4b9 | Em7b5 A7#5 | Dmaj7#11 |

| F#7sus4b9 | Em7b5 A7#5 | Dmaj7#11 | C#m7b5 F#7#9 |

| Em7b5 A7#5 | Dmaj7#11 | C#m7b5 F#7#9 | Bbmaj7#11 |

| Dmaj7#11 | C#m7b5 F#7#9 | Bbmaj7#11 | Gmaj7#11 |

| C#m7b5 F#7#9 | Bbmaj7#11 | Gmaj7#11 | F#7sus4b9 |

| Bbmaj7#11 | Gmaj7#11 | F#7sus4b9 | Dmaj7 |

Erst einmal vielversprechend, denn es sieht wild aus, und außerdem war ChatGPT (wie immer) sehr selbstbewusst und von sich überzeugt, denn „es“ schrieb:

„This chord progression contains many unusual and surprising cadences, such as the combinations of maj7#11 chords, sus4b9 chords, and m7b5 chords with dominant chords. The progressions from Em7b5 A7#5 to Dmaj7#11 and from C#m7b5 F#7#9 to Bbmaj7#11 are also unexpected, yet harmonically meaningful. Overall, the result is a harmonically interesting and varied chord progression that retains the basic Dmaj7 chord as a stable center.“

Was macht man jetzt damit?

Ich habe ChatGPT nach weiteren Parametern wie Stil, Instrumentierung oder Stimmung gefragt. „Es“ wollte sich allerdings nicht festlegen, ich habe nur recht allgemeine Hinweise erhalten, was denn so alles möglich wäre. Auch beim Thema Melodie hat mich ChatGPT enttäuscht. Alles, was mir vorgeschlagen wurde, klang irgendwie nach Kinderlied – oder nach gar nichts.

Daher habe ich ein wenig mit den Akkorden herumexperimentiert und sie so vertont, dass es für mich einigermaßen stimmig war. Dabei habe ich mich strikt an die Vorgabe des Akkordschemas gehalten, also all die schrägen kleinen 7sus4b9 und 7#11 brav umgesetzt. Es war ein Experiment, ich wollte wissen, wie klingen exakt diese Akkorde.

Hier könnt ich euch das anhören. Zuerst die 32 Akkorde im klassisch-orchestralen Stil, danach die gleichen 32 Akkorde noch einmal und im Jazz Stil:

Fazit

Nicht wirklich überzeugend, weder besonders neuartig, fremd oder irgendwie schön. Die Akkord-Übergänge passen irgendwie, aber das war es auch schon. Spaß gemacht hat es trotzdem.

Analysiert man das Akkordschema, und nimmt man die ganzen “schrägen” Zusatztöne (die Tensions) weg, sind das übrigens ziemlich übliche (oder langweilige) Kadenzen. Überall eine #9 oder #11 dazuzusetzen, macht es nicht wirklich originell. Letztlich ist das auch nicht überraschend. ChatGPT ist ein sog. „Large language model“, das Akkorde so zusammenfügt, wie sie im Trainingsmaterial „wahrscheinlich“ aufeinander folgen. Die künstliche Intelligenz ist also eher eine (von Menschen bzw. den Sedimenten ihrer Kreationen im Internet) geborgte Intelligenz. Also eher eine GI als eine KI. Der Prompt „interessant und neuartig“ hat dann wohl dazu geführt, überall Tensions hinzuzufügen.

Nur am Rande: Wer mehr darüber erfahren möchte, wie Komponisten HI (human intelligence) und HC (human creativity) einsetzen und wie echte Schöpfungen entstehen, der werfe einen Blick in die Studien des Julius Bahle (hier auf KUL-TICK).

Der deutsche Psychologe Julius Bahle hat bereits ab 1920 mit seiner von ihm begründeten historisch-experimentellen Methode untersucht, wie Komponisten arbeiten. Zu seinen Probanden zählten Größen wie Carl Orff oder Arnold Schönberg. 

Human Creativity (HC)

Er beschreibt (u.a.), wie Komponisten in außermusikalischen (Lebens-)Erfahrungen über den Umweg von Vorstellungsbildern und der Herbeiführung körperlicher Zustände „Ausdrucksbewegungen entdecken“ und in musikalische Formen übertragen. Geleitet von einem „Adäquatheits- und Originalitätsstreben“. Sie arbeiten zudem mit Rückkopplungsschleifen, mit denen sie permanent die Wirkung des Komponierten an sich selbst testen.

Liest man Bahle, versteht man, dass Musik – hier als Beispiel für den Output menschlicher Kreativität – mehr ausdrückt und über Musik an sich hinausgeht, als durch Replikationen und Neusortierungen rein musikalischer Vorlagen durch einen stochastischen Papagei erzeugt werden kann. Bei der KI fehlen nach Bahle die außermusikalischen Erfahrungen, das Entdecken von Ausdrucksbewegungen, der Einsatz von Vorstellungsbildern, die körperlichen Zustände, das Originalitätsstreben, die Rückkopplungsschleifen. Also irgendwie alles, was menschliche Kreativität ausmacht.

Oder in der kognitionswissenschaftlichen Sprache des Embodiments ausgedrückt: KI ist nicht „in der Welt“, hat keinen handlungs- und empfindungsfähigen „Leib“, macht keine lebendigen Erfahrungen und muss sich auch nicht in der komplexen Wirklichkeit zurechtfinden und dort selbst erhalten. Alles keine guten Voraussetzungen für Kreativität.

Das Thema KI und Musik bleibt für mich aber spannend, vielleicht ergeben sich – über so ein kleines Experiment hinaus – noch andere Möglichkeiten einer „Zusammenarbeit“, vielleicht auch als Teil von Konzeptkunst und Konzeptmusik. Ähnlich wie Johannes Kreidler, der z.B. zur Finanzkrise 2009 fallende Aktienkurse mithilfe der Microsoft Komponiersoftware „Songsmith“ zu Melodien hat arrangieren lassen.

Alle Bilder im Beitrag wurden übrigens von Stable Diffusion (eine Bild-generierende KI) erstellt. Ich habe hier absichtlich die schrägsten rausgesucht. 

Ach so, der Titel des Beitrags ist auch von ChatGPT.

Der Rest ist aber von mir. Ehrlich!

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