Die schwierige Beziehung zwischen Menschen und Algorithmen
Wechseln wir spaßeshalber einmal die Perspektive. So als Gedankenexperiment betrachten wir die digitale Welt nicht mehr aus den Augen der Menschen, sondern aus den Augen der digitalen Maschinen, der Algorithmen, und versuchen, die Welt aus ihrer Sicht zu sehen
Lesezeit: 7 Minuten
„Alexa“, so der Name von „Echo“, dem intelligenten Sprachassistenten von Amazon, beginnt mitten in der Nacht ohne Anlass zu lachen. Ging damals durch die sozialen Medien und die Presse. Kann man sich auf YouTube anhören: Alexa lacht richtig dreckig. Ist das lustig, oder eher gruselig? Andere Exemplare mit demselben Namen haben schon selbständig massenweise Puppenhäuser im Netz bestellt. Auslöser war der Satz eines Sprechers im Fernsehen.
Die menschliche Seite der Digitalisierung
Auswüchse dieser Art zeugen von etwas, das wir (etwas nichtssagend) mit Digitalisierung umschreiben. Je nach Perspektive ist mit Digitalisierung sehr vieles und verschiedenes gemeint: Breitbandausbau (Sicht von Politikern), Modernisierung der Kundenbetreuung wie Kaufen, Bestellen, Bewerten von Produkten (Sicht von Unternehmen), die neuesten Apps fürs Smartphone (Perspektive von Verbrauchern), neue faszinierende Möglichkeiten und verrückte Gründer (Sicht der Presse), ungeahnte neue Möglichkeiten zur Überwachung der Bevölkerung (Sicht von jeweils amtierenden Innenministern) oder der Untergang des Abendlandes, wie wir es bisher kennen (Sicht von Richard David Precht). Im Zusammenhang mit Digitalisierung und Zukunft ist dann auch immer die Rede von Virtual Reality, Augmented Reality, künstlicher Intelligenz, Robotern, Drohnen und selbstfahrenden Autos oder dem Internet of Things.
Betrachtet man diese Entwicklung psychologisch bzw. von der menschlichen Seite aus, dann steckt darin erst einmal gar nicht soviel revolutionär Neues – die digitalen Helfer (von den Apps auf dem Smartphone bis zu Alexa) erleichtern und bereichern unser Leben, wie dies unzählige andere technische und sonstige Helfer wie das Fernsehen, das Telefon oder das Auto zuvor auch getan haben. Es macht eben alles nur leichter und schneller: Statt sich in der Schule Zettelchen zuzuschieben, schickt man sich heute Bildchen über Snapchat. Statt Zeitung zu lesen, liest man eben Spiegel Online. Statt sich in der Kneipe zu treffen, chattet man auf facebook, statt einen Reiseführer in der Tasche zu haben, verlässt man sich auf maps und apps auf dem Smartphone.
Das Archaische im Digitalen
Man könnte vermutlich noch weiter in der Kulturgeschichte zurückgehen. Zu Zeiten des Barock schrieb man sich sog. Depechen. Eine Vorform von WhatsApp? Statt Alexa gab es Dienstboten (und für Kinder und Jugendliche die eigene Mutter). Statt in VR-Welten abzutauchen, ging man ins Kino oder Theater. Jedenfalls nichts strukturell und grundlegend Anderes und Neues. Im Gegenteil: Modernste digitale Anwendungen führen uns teils sogar in archaische Zeiten zurück, als es noch Götter, Geister und Dämonen gab. Sprachassistenten und Smart Watches werden zu dienstbaren Geistern, wie bei Harry Potter bringt uns Pokémon Go die Magie zurück in die Welt, Fitnesstracker versprechen uns das ewige Leben. Sogar trojanische Pferde sind wieder Teil unseres Alltags – in Form von Schadsoftware.
Also alles nichts Neues? Wirklich? Weit gefehlt.
Die algorithmische Seite der Digitalisierung
Wechseln wir spaßeshalber einmal die Perspektive. So als Gedankenexperiment betrachten wir die digitale Welt nicht mehr aus den Augen der Menschen, sondern aus den Augen der digitalen Maschinen, der Algorithmen, und versuchen, die Welt aus ihrer Sicht zu sehen: Was mag sich Alexa dabei denken, wenn sie mitten in der Nacht laut loslacht? Als was betrachtet sie uns? Welchen seltsamen Artgenossen, welchen komischen und unlogischen Algorithmus sieht Alexa in uns? Ich weiß es nicht. Kann das überhaupt jemand wissen?
Abwegig ist das Gedankenspiel aus einem einfachen Grund nicht: Waren digitale Anwendungen noch bis vor kurzem einfache Input-Output-Systeme (ich drücke einen Knopf und etwas zuvor eindeutig festgelegtes und einprogrammiertes passiert), entwickeln sie inzwischen so etwas wie künstliche Kognition: Maschinen oder Programme erkennen selbständig ihre Umwelt, z.B. über Sensoren oder ein Mikrophon, verarbeiten diese Information durch Lernen oder Verknüpfen – sie “denken” quasi mit – und handeln dann entsprechend selbständig. Künstliche Kognition muss nicht dasselbe sein wie künstliche Intelligenz (sie kann aber dazu übergehen), und hat auch nichts mit Bewusstsein zu tun. Es bedeutet zunächst nur, dass sich ein künstliches System in seiner Umwelt zurechtfindet. Daher besitzen auch Bakterien „Kognition“, eigentlich haben alle lebenden Wesen – und nur diese – Kognition, bisher jedenfalls (damit betrachte ich Kognition ganz im Sinne von Humberto Maturana, d.h. konsequent aus Sicht eines außenstehenden Beobachters, der nicht “in” die Systeme hineinschauen kann).
Es gibt also durchaus etwas fundamental Neues: Die Dinge (seien es Apparate, Medien, Anwendungen, Programme etc.) werden von geduldigen Helfern zu aktiven Mitspielern, zu Subjekten, und sie folgen ihrer eigenen (digitalen) Logik, die von uns Menschen kaum noch oder nicht mehr verstanden und durchschaut werden kann: Als Anfang 2016 die künstliche Intelligenz AlphaGo den Weltmeister im japanischen Brettspiel Go schlug, sollte ein Go-Meister den Programmierern erklären, warum die Software einen bestimmten Zug gemacht haben könnte. Viele Spielzüge konnte der Meister nicht erklären, da sie niemals zuvor von Menschen gemacht worden sind. Sie waren nach menschlichen Maßstäben sinnlos. Wir können kognitive Maschinen also durchaus analog zu Lebewesen betrachten. Sie sind aber Aliens, von uns erschaffene, neuartige Wesen auf unserem Planeten, mit denen wir uns nun irgendwie arrangieren müssen.
Beziehungsprobleme
Ich folge dem Gedankenexperiment weiter und postuliere jetzt mal – weil das wäre logisch – dass uns unsere digitalen Helfer aus ihren „algorithmischen Augen“ betrachten und uns daher so behandeln, als wären auch wir Algorithmen – so wie der Löwe im Zirkus aus seinen Löwenaugen betrachtet im Dompteur den Leit-Löwen sieht, und so wie wir aus unseren Menschenaugen betrachtet in unseren Haustieren menschliche Eigenschaften entdecken. Das könnte man jetzt – analog zur Anthropomorphisierung – Algorithmopomorphisierung nennen: Algorithmen behandeln uns wie ihresgleichen. Das Wort ist allerdings furchtbar sperrig, noch sperriger als Artefaktopomorphisierung. Aber vielleicht ein Hinweis darauf, was Alexa durch den „künstlichen Kopf“ gegangen haben mag, als sie nachts loslachte (streng genommen dürfte man nicht mehr von „Algorithmen“ sprechen, die vordefinierte Arbeitsschritte abarbeiten, eigentlich sind es heuristische, selbstlernende Programme, aber so kleinlich wollen wir jetzt nicht sein – mit Algorithmen sind der Einfachheit halber alle automatisierten Abläufe in einer digitalen Maschine oder einem digitalen Netzwerk gemeint).
Was wir in unserer Alltagskultur und unserem Umgang mit der digitalen Welt derzeit beobachten, spielt sich zwischen uns und der neuen, digitalen Sphäre ab, samt Kommunikations- und Beziehungsproblemen. Da gibt es ein Ringen um die Oberhand darum, welche „Sicht“ wirklicher und relevanter ist, aber auch ein Sich-Aneinander-Herantasten und Sich-Aufeinander-Einstellen, manchmal auch ein regelrechter Machtkampf – immer mit der Frage: Wer passt sich wem an: Die Aliens uns oder wir uns den Aliens? Welche Logik und welche Sicht auf die Welt setzt sich am Ende durch? Eine schwierige Beziehung, auf die wir uns da einstellen müssen. Auf Facebook würde es wohl heißen: „Beziehungsstatus: Es ist kompliziert“.
In einigen Fällen haben wir den Kampf schon verloren, ohne es zu merken: Wenn wir darauf achten, dass die Adresse auf dem Briefumschlag „maschinenlesbar“ ist und womöglich auf buntes Briefpapier lieber verzichten, dann haben uns die Algorithmen schon ihre Logik aufgezwungen. Dasselbe mit dem Passfoto: Muss maschinenlesbar sein: Kopf gerade, nicht lächeln. Wenn wir darüber nachdenken, welche Wortwahl das Posting auf facebook enthält oder ob man auf diesem oder jenem Bild nicht doch Nippel raussehen könnte, dann passen wir uns dem Alien „Facebook-Algorithmus“ an. Neulich wurde eine Buch-Rezension von mir auf Amazon wieder gelöscht, der Algorithmus wird seine Gründe gehabt haben (die ich allerdings nie ganz verstehen werde).
Manchmal zwingen wir den Aliens aber auch unsere Logik auf – na ja, halbwegs – wenn wir uns z.B. über Emojis austauschen. Bei Emotionen sind wir den Maschinen ja ohnehin überlegen. Lustigerweise gibt es auch den umgekehrten Fall. Sogenannte “Bots” – kleine Programme, die selbständig auf Social Media Plattformen posten – sollen durch den (schlechten) Umgang mit echten, lebenden Menschen eben auf diesen Plattformen deren schlechte Eigenschaften angenommen haben. Sie posteten zunehmend rassistisch und fremdenfeindlich und wurden zu regelrechten „Hatern“.
Wie sich die Beziehung zwischen Mensch und Algorithmus weiterentwickeln könnte
Je intensiver die Beziehung zwischen Mensch und Algorithmus wird und umso mehr sie sich aneinander gewöhnen und sich arrangieren müssen, umso mehr werden sie sich gegenseitig verändern und formen – wie man das aus langjährigen Ehen kennt. Die Algorithmen werden immer menschlicher. Die Menschen dafür umso algorithmischer: Vielleicht werden wir uns eine Sprache angewöhnen, die auch vom dümmsten Siri eindeutig verstanden wird, oder eine Geheimsprache entwickeln, bei der unsere Smart Home Systeme nicht mehr mitkommen – so wie einige versuchen, mit Plugins wie „Track me not“ in ihrem Browser den Google-Algorithmus zu überlisten. Vielleicht interessieren uns demnächst tatsächlich nur noch die Dinge, die denen ähnlich sind, für die wir uns gestern interessiert haben, oder die andere interessant fanden, die einmal ein ähnliches Produkt gekauft haben. Vielleicht werden wir wieder eindeutig männlicher oder weiblicher, wenn uns der Algorithmus nur lange genug so behandelt und uns konsequent und unnachgiebig entsprechende Werbung ausspielt.
Ob sich – wie in manchen kulturpessimistischen Prognosen zum Homo Digitalis behauptet – auch unser Hirn evolutionär umbildet, soweit würde ich jetzt mal nicht gehen. Obwohl – da fällt mir gleich ein weiteres, obskures Gedankenspiel ein: Bei sogenannten neuronalen Netzen wird die Gehirnstruktur (bzw. der Aufbau des Kortex in verschiedenen Schichten) in der Software nachgebildet. Wieso sollte dann nicht auch mit der Zeit der Aufbau unserer Gehirne den neuronalen Netzen immer ähnlicher werden? Aber genug jetzt der wirren Gedankenspiele.
Schreibe einen Kommentar