Das Ringen des Designers um die passende Wirkung
Designer und Künstler schöpfen ihre kreativen Ideen, so wird oft behauptet, aus dem Unbewussten. Künstler können sich mit dem Gedanken, sie holen ihre Inspirationen irgendwo aus den unbekannten Tiefen ihrer Seele, zuweilen gut anfreunden. Es erspart ihnen die Antworten auf die lästigen Fragen nach dem „Was hat sich der Künstler dabei gedacht?“.
Wenn der Künstler so einfach formulieren könnte, was sein Kunstwerk bedeutet, hätte es sich das Kunstwerk aber auch sparen können und es stattdessen einfach sagen können, was er meint. Es sei denn, er versteht sich ein wenig als Quizmaster einer Ratesendung. Das heisst aber nicht, dass es unbewusst ist, sondern eben nur nicht so leicht in Worten zu formulieren. Bei Künstlern wäre es allerdings noch verzeihlich, wenn mal das Unbewusste mit ihnen durchgeht. Schließlich haben sie keinen Auftrag und sind niemandem Rechenschaft schuldig, eine bestimmte Bedeutung in ihre Kunstwerke zu legen, um bei einer ausgewählten Zielgruppe eine bestimmte Wirkung zu erzeugen.
Bei Werbe-Designern sieht das schon anders aus. Das bloße Schöpfen aus den Untiefen des persönlichen Unbewussten könnte allzu leicht dazu führen, dass die Werbekampagne nicht mit potenziellen Konsumenten kommuniziert, sondern das unbewusste Seelenleben des Designers abbildet. Wäre das so, sollte man sich als Agenturkunde zuvor ein psychologisches Gutachten vom beauftragten Designer zukommen lassen. Beauftragt man eine Werbekampagne für ein Beerdigungsinstitut, kann man dann gezielt einen depressiven Werbedesigner auswählen. Für die Kampagne eines Vergnügungsparks könnte ein Designer mit manischen Neigungen genau der Richtige sein. Das Gegenteil ist jedoch meistens der Fall. Es ist geradezu die Kernkompetenz von Designern, nichts dem Zufall zu überlassen und schon gar nicht dem Unbewussten, sondern sich der visuellen Sprache gezielt zu bedienen. Kein Strich, kein Punkt, der nicht daraufhin genauestens überprüft wird, ob er die richtige Strichstärke hat, die passende Farbe und ob er an der richtigen Stelle der Gesamtkomposition sitzt. Beobachtet man Designer bei der Detailarbeit, könnte man sie zuweilen für pädantische Erbsenzähler halten. Auch bei Fotoshootings wird wenig dem Zufall überlassen, besonders wenn die Fotos am Ende so aussehen sollen, als wären es zufällig mit dem Smartphone geknipste Schnappschüsse.
Wenn es Konsumenten oft schwer fällt, die Intention eines Designs so zu deuten wie sie vom Designer beabsichtigt war, beweist dies weder die Unfähigkeit des Designers, noch die überschaubare intellektuelle Begabung des Konsumenten, sondern den hohen Anspruch, der an Designtätigkeit gestellt wird. Auch für Werbesprache gilt der Satz aus der Kommunikationspsychologie: Verstehen ist die Ausnahme, Missverstehen die Regel. Selbst wenn Designer in die Vergangenheit reisen könnten und so genug Zeit hätten, sich in die Zielkonsumenten hinein zu fühlen, bis das Design gestern fertig sein muss, ist bestenfalls eine Annäherung möglich. Niemand kann hundertprozentig mit den Augen eines anderen durch die Welt gehen und sich feinste Wirkungen von Formen, Farben und Worten so erschließen, wie es ein anderer auffasst.
Das richtige Maß an intellektueller Komplexität zu finden, ist ebenfalls schwierig. Ist die Botschaft allzu platt und wird zu schnell verstanden, ist sie auch so langweilig, dass der Betrachter sie schon wieder vergessen hat, noch bevor sie ihm überhaupt aufgefallen ist. Schlimmstenfalls fühlt er sich sogar in seinem Intellekt beleidigt. So ein banal beworbenes Produkt kann nichts für ihn sein, denn selbst Groucho Marx möchte keinem Club angehören, der ihn als Mitglied aufnimmt. Eine leichte intellektuelle Irritation ist einer guten Werbung sehr zuträglich. Zweimal über einen Witz oder eine zweideutige Formulierung nachdenken zu müssen, schmeichelt dem Ego. Wenn dann doch – nach ein wenig Einsatz von Gehirnschmalz – der Groschen fällt, ist die Freude über den Erfolg umso größer. Dreimal oder Viermal nachdenken und immer noch nicht den Gag verstanden zu haben, stimmt jedoch ärgerlich. Man wendet sich ab, denn einer muss hier doof sein und weil ich es nicht bin, kann mich die doofe Werbung mal!
Leider ist der richtige Pfad der genau angemessenen intellektuellen Raffinesse denkbar schmal und kaum messbar. Es kommt nämlich – dummer Weise – auch immer noch darauf an, wo und wann, welche Konsumenten mit welchem Vorwissen, welches Werbemedium, wie lange, in welcher Stimmung und und und anschauen. Das sind so viele Bedingungen, dass es nahezu an ein Wunder grenzt, dass es trotzdem Werbekampagnen gibt, die den richtigen Nerv treffen und funktionieren wie sie sollen, nämlich werben. Besonders schwer ist das in einer Kultur, in der man so mit Werbung überschüttet wird, dass alles schon grundsätzlich nervt, das auch nur unter dem Verdacht steht, Werbung zu sein.
Bei Künstlern kommt es übrigens auf den künstlerischen Ansatz an, wie gezielt sie ihren Grips einsetzen, oder es doch mehr dem Zufall oder manchmal auch ihrem Unbewussten überlassen. Auch den Anhängern einer eher geistig ungegenwärtigen Zufallskunst kann man jedoch eine Kompetenz in Bildsprache nicht absprechen. Ein Kunstwerk, das seine Wirkung auf den Betrachter nicht verfehlt, hat es geschafft etwas kollektiv Menschliches zum Ausdruck zu bringen – eine Erfahrung, die zwar aus den ganz persönlichen Quellen des Künstlers stammt, aber dennoch Empfindungen trifft, die auch der Betrachter kennt. Zumindest muss man dann Kompetenz voraussetzen, wenn dem Künstler nicht nur zufällig ein einziges Werk gelungen ist, das für andere nachempfindbar ist.
Künstler, die mehr der konstruktivistischen Kunstrichtung angehören, gehen oft nicht weniger gezielt und bewusst ans Werk wie ein Designer, der eine Aufgabe erfüllen muss. Sie stellen sich nur ihre Aufgabe selbst. Auch hier ist der Grat zwischen verschwurbelten Hirngeburten und spannenden wie erhellenden Aha-Effekten beim Betrachter sehr dünn. Immerhin haben Kunstwerke den Vorteil, dass sie nicht schon gestern fertig sein müssen und der Betrachter oft bereit ist, länger drüber nachzudenken.
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