In der Verälterungsfalle
Gestern las ich im Spiegel eine Kolumne von Silke Burmester: „ARD und ZDF: In der Verjüngungsfalle“. Sie kritisiert, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender verjüngen wollen, wo doch die Gesellschaft quasi von selbst immer älter wird. Hier ein Zitat, ich habe es erst zwei mal lesen müssen, bis ich begriffen habe, dass sie das tatsächlich so meint:
„Immer mehr Menschen in Deutschland werden alt. Für die Anbieter von Oldiefernsehen wie ARD und ZDF eine komfortable Situation. Sie könnten dasitzen und abwarten, wie ihnen die Zielgruppe entgegenwächst. Wie sie von Tag zu Tag größer wird und immer mehr Menschen ihre Sendungen einschalten. Aber nein, entgegen des Trends wollen die jetzt junge Zuschauer gewinnen und Menschen ansprechen, die noch nicht einmal wissen, dass es ARD und ZDF gibt.“
Ja, warum nicht einfach warten, bis wir alle alt sind, dann werden wir alle Musikantenstadl lieben. Was dahinter steht, ist das Bild, dass Menschen ab einem bestimmten Alter plötzlich andere Interessen, Vorlieben und Sehgewohnheiten haben. Als würde sich ein Schalter im Gehirn umlegen. Dass die 60jährigen von morgen so ticken wie die 60jährigen von heute oder von gestern. Ergo gibt es so etwas wie Seniorenfernsehen, das – egal wann – die anspricht, die ein bestimmtes Lebensalter erreichen.
Aha, ich habe zwar noch so 15 Jahre Zeit, aber wenn ich mal 60 sein werde, kann ich mich schon drauf einstellen, dass ich Helene Fischer vergöttern werde und CDs (oder Kassetten?) von Florian Silbereisen in der Eichenschrankwand stehen habe. Auch wenn ich mit Star Wars und Superman aufgewachsen bin, wird mich zum 60ten Geburtstag ein unstillbares Verlangen nach Traumschiff und Rosamunde Pilcher überkommen. Meine Frau malt dann auch keine Bilder mehr sondern klöppelt Tischdeckchen. Im Kühlschrank steht dann Eierlikör und Fürst Bismarck für den gesetzten Herrn.
Frau Burmester steht mit diesem Trugschluss aber nicht alleine dar. Im Gegenteil, das ist eine Denke, die sich besonders hartnäckig hält. Wir haben selbst in psychologischen Studien erforscht, wie die heute 30, 40 oder 60jährigen ‚ticken‘. Und unsere Kunden waren manchmal wirklich überrascht, wenn sie sahen, welches Lebensgefühl ihre Zielgruppe, z.B. die einer bestimmten TV-Sendung, hat.
Die morgen 60jährigen sind eben die heute 40jährigen, und die hatten in den 90ern ihre prägenden Jahre und hörten z.B. Techno. Wieso sollten die dann auf einmal die Kastelruther Spatzen hören?
Was könnte eine psychologische Erklärung dafür sein? Vielleicht möchte man die Gewißheit von sich weg halten, dass man selbst einmal zu den Senioren gehören wird. Man hält einfach an dem Bild fest, dass Senioren eine andere Welt sind, dass sie mit einem selbst nichts zu tun haben. So kann man das irrationale Bild aufrechterhalten, dass man selbst anders ist und immer anders sein wird als die sog. Senioren. Meine Oma sagte mit 80 noch: „Wenn ich mal alt bin…“.
Wir sollten aber jetzt bald mal damit anfangen, Bücher zum Ersten und Zweiten Weltkrieg zu lesen, damit wir demnächst auch immer vom Krieg reden können.
„Ich weiß noch, wie ich von den Amerikanern diese runden schlabbrigen Weißbrote mit Boulette und ein bisschen Salat drin bekam, in solchen FCKW-Carepaketen. Und wir mussten damals kilometerweit zur nächsten Versorgungsstation laufen, ja, so war das damals… Wie hieß noch diese Erbswurst meiner Jugend? BigMac? Ja ja, wir hatten ja nichts.“
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