Wir sind Flugzeugabsturz
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“Mir gehen die Toten des Flugzeugabsturzes am Arsch vorbei. Ich bin auch nicht in Trauer. Ich habe die Menschen im Flugzeug weder gekannt noch sonst einen Bezug zu ihnen. Wie sollte ich da trauern?”
Darf man das sagen?
Heute morgen im Radio ein Interview mit Sascha Lobo. Es ging darum, wie die „Netzgemeinde“ mit ihrer Trauer umgeht. Soziale Medien seien für viele Menschen eben doch noch „Neuland“. Es gibt sie erst seit 2009, 2010 und werden erst seit wenigen Jahren von fast allen Gesellschaftsschichten genutzt. Da muss sich erst noch eine neue „Kultur“ finden, wie man mit schrecklichen Ereignissen wie dem offenbar absichtlich herbeigeführten Absturz der Germanwings-Maschine umgehe und seine Anteilnahme „richtig“ äußere: Schreibt man etwas dazu? Schreibt man nichts dazu? Kann man Fotos seines Mittagsessens weiterhin posten, als wäre nichts geschehen oder ist das pietätlos? Es gibt Nutzer, die ersetzen ihre Profilbilder durch ein Trauerflor-Icon, andere echauffieren sich über die lüsterne Berichterstattung.
Muss man? Also umgehen damit, Trauer und Anteilnahme zeigen, in sozialen Netzwerken? Echte Trauer erfordert mindestens eine persönliche Beziehung zu den Menschen, die man verloren hat, Anteilnahme zumindest eine Beziehung zu den Angehörigen. Also könnte man sich durchaus einmal Gedanken dazu machen, was wirklich hinter dem Impuls steckt, öffentlich so etwas wie Anteilnahme zu bekunden oder sich sonst dazu zu äußern? Da kennt die Psychologie gleich mehrere mögliche „Motive“:
Zum einen schlicht die Bewältigung eines kleinen Schocks. Warum „gaffen“ Menschen bei Verkehrsunfällen – weil sie erlebt haben, wie selbstverständliche, alltägliche, routinierte Abläufe einen „Riss“ bekommen, ein Un-Fall ist ein Fall, der eigentlich nicht stattfinden darf. Da muss man erst einmal stehen bleiben, darüber reden, die Geschehnisse einordnen, Erklärungen und Vermutungen äußern („der kam von links“). Man kann eben nicht gleich in seine Alltagsroutine zurückkehren. Man muss erst mal überhaupt irgendetwas tun oder sagen.
Stärker auf der unbewussten Ebene kann auch Selbst-Vergewisserung eine Rolle spielen: Jeder denkt, offen oder insgeheim, in der Maschine hätte ich auch sitzen können. Man demonstriert und zeigt öffentlich – aber eigentlich v.a. sich selbst – dass man froh ist, dass es einen nicht getroffen hat, also nicht „betroffen“ ist. Weniger bewusst wäre auch die Aufwertung der eigenen Person: Ich profitiere an der medialen „Bedeutung“ des Ereignisses, ich werde selbst bedeutsamer, wichtiger, größer, v.a. wenn ich mich mit dem großen Ereignis gleichsetze (und z.B. mein Profilbild austausche). Nur wenn dies zur Selbstdarstellung oder gar einem Betroffenheits-Wettbewerb ausartet, kann das andere auch abstoßen und Gegenreaktionen hervorrufen. Damit einher ginge auch ein Stück Verschiebung und Verdrängung des eigenen (unbedeutenden) Alltags. Als Teil einer größeren „Medienseele“ werden andere Dinge – zumindest eine Zeit lang – unbedeutender. Es ist wichtiger, erst mal die News zu lesen, als sich um seine eigenen Belange zu kümmern, die einen eigentlich mehr „betreffen“.
Gänzlich unbewusst ist uns meist die Angst-Faszination des Ungeheuerlichen – hier verschränken sich Ur-Ängste mit der Lust an der Sensation. Sie kann sich auch ins Gegenteil verkehren und in der verkleideten Gestalt von Anteilnahme zum Ausdruck kommen. Sicher, viele würden das vehement von sich weisen. Man weiß aber aus psychologischen Studien z.B. zur Rezeption von Nachrichten, dass dies auch immer mit im Spiel ist (da leben auch ganze Presse-Zweige von, da muss man die BILD Zeitung gar nicht groß beim Namen nennen). Auch Fomel-1 Zuschauer geben kaum zu, dass sie insgeheim auf den großen Crash warten.
Interessant auch, dass sich das Ungeheuerliche an der Psyche des offensichtlichen Täters festmacht. Einerseits wird auch das eingeordnet und weg-sortiert (er war halt psychisch krank, und in Zukunft sollen psychologische Tests Sicherheit bringen – so fragwürdig das auch ist), andererseits fasziniert gerade, zu welch monströsen Ungeheuerlichkeiten der Mensch – oder das Seelische – in der Lage ist. Oder auch man selbst?
Übrigens, wer selbst in seinem Leben schon einmal einen Verlust eines nahestehenden geliebten Menschen erlitten hat und echte Trauerarbeit leisten musste, der hält sich in den Netzwerken bei solchen Ereignissen bewusst zurück. Dann weiss man, dass es hier nicht um Trauer oder Anteilnahme (an unbekannt) geht – das würde psychologisch nämlich keinen Sinn machen – sondern ahnt vielleicht, dass hier ganz andere Dinge (wie z.B. Bewältigung, Selbst-Vergewisserung, Selbst-Aufwertung, Ablenkung oder Faszination am Ungeheuerlichen) im Spiel sind.
Das ganze will ich auch nicht werten, es sind alles legitime und letztlich ur-menschliche Bedürfnisse, die sich darin zeigen (und für unser Unbewusstes können wir ja auch nichts;-) Trotzdem muss ich jetzt weder trauern oder anteilnehmen noch ein schlechtes Gewissen haben, dass mir andere Dinge jetzt wieder wichtiger sind.
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