Bist du noch agil, oder schon innovativ?

Im Beitrag geht es um den aktuellen Hype um „Agilität“, der hier kritisch am Beispiel agile Innovationsentwicklung beleuchtet wird.
Lesezeit: 12 Minuten

Leanmanagement haben wir schon, innovationsfähig sind wir auch. Jetzt sollen wir alle agil werden. Man denkt vielleicht zuerst an die Rente mit 70, weil man den Begriff „agil“ auch gerne für rüstige Rentner nutzt. Das ist jedoch nicht gemeint, sondern es geht um die flexible Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Personen an sich ständig verändernde Bedingungen.

Agil, what?

Agiles Projektmanagement hat seinen Ursprung in der IT-Branche bzw. dem Software-Engineering. Mit „SCRUM“, „Timeboxing“ oder „Paarprogrammierung“ reagierte man in der IT auf eine sich schnell wandelnde IT-Technik, bei der man Projekte nicht mehr zwei Jahre im Voraus Wasserfall-mäßig vom Anfang bis zum Ende durchplanen kann. Nach zwei Jahren kann sich die Technik, auf die man in einem Projekt gesetzt hat, schon so stark verändert haben, dass das Projektergebnis dann veraltert ist. Schlimmstenfalls operiert man mit Techniken, die nicht mehr lange existieren. Man denke z.B. an Serverfarmen mit Festplatten im eigenen Kühlraum eines Unternehmens versus Clouddienste, oder an Netzwerkkabel versus Wifi.

Agile Projekte werden „iterativ“ konzipiert, d.h. es werden Schleifen eingebaut mit Zäsuren, in denen man sich über das bisherige Fortschreiten des Projektes austauscht und kritisch darüber nachdenkt, ob man genauso oder doch besser anders weiter machen sollte. Nicht nur der Weg, sondern auch das Ziel wird mitunter infrage gestellt, denn besser zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das Ruder herum reißen als erst am Ende der zwei Jahre festzustellen, dass man es in den Sand gesetzt hat – mit entsprechend großen Zeit- und Geldverlusten. Agil ist in einem solchen Fall effizienter.

Der Wechsel zu flexibleren Formen der Projektplanung ist also ein notwendiger Schritt, wenn man unter sich ständig ändernden Bedingungen plant.

Agil ist aber auch die neuste Unternehmensberatungs-Sau, die durchs globale Dorf getrieben wird. Alles und alle sollen jetzt agil sein, und sind sie es noch nicht, dann schleunigst werden!

Würde man die Bezeichnung „agil“ auf die Bereiche beschränken, in denen sich die äußeren Bedingungen tatsächlich ständig ändern, wie in der IT, müsste man kritisch fragen, ob denn wirklich alle Bereiche und Prozesse agil werden müssen. Hat man mit dem Wetter zu tun – z.B. als Pilot – muss man agil sein, denn das ändert sich ständig, mitunter sogar plötzlich, oder wenn man mit einem Segelschiff unterwegs ist, muss man agil sein. Ist man aber zoologischer Verhaltensforscher, kann man davon ausgehen, dass Löwen auch morgen noch in Rudeln leben und Fleisch fressen und nicht ihr Verhalten von heute auf morgen verändern. Man muss also nicht ständig prüfen, ob sich etwas verändert hat. Würde man es trotzdem doch tun, würde man unnötig Zeit verschwenden.

Agilität macht nicht grundsätzlich in allen Bereichen Sinn und sollte daher gut überlegt werden.

Die zentrale Frage in diesem Artikel:

Wie viel Agilität macht in Innovationsprojekten Sinn und an welchen Stellen macht es Sinn?

(Anmerkung: die hier betrachtete Innovationsentwicklung bezieht sich speziell auf Innovationen, welche die Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten im besonderen Maße berücksichtigen und nicht auf technische Erfindungen.)

Ein Innovationsprozess für konsumentenorientierte Ideen hat mindestens zwei voneinander unterscheidbare Phasen bzw. Bereiche: Forschung und Kreation

  • Forschung: Herausfinden, welche Bedürfnisse, Wünsche oder Probleme die Konsumenten haben, um attraktive Ideen für sie zu entwickeln
  • Kreation: Neue, attraktive Ideen entwickeln, die es am besten auf dem Markt noch nicht gibt

Agil meint ja, sich an verändernde Bedingungen anzupassen. Veränderte Bedingungen ergeben sich innerhalb der Kreationsphase ständig. Kreatives Denken ist schon an sich agil. Es geht ja gerade darum, Veränderungen auf den Weg zu bringen. Manchmal tauchen Probleme, neue Fragestellungen oder neue Zielsetzungen erst während des Prozesses auf und können daher nicht im Vorfeld eingeplant werden. Ziel war es z.B. vielleicht, ein neues Produkt zu entwickeln, aber die Idee, stattdessen eine neue Dienstleistung anzubieten, erweist sich als smarter. In der Kreationsphase ist Agilität grundlegend. Das kann z.B. heißen, dass man Verfahren an die jeweilige Aufgabe und die Entwicklung im Prozess anpasst und nicht mit den immer selben Standard-Kreativtechniken arbeitet.

Die Konsumenten verändern ihre Bedürfnisse und ihr Verhalten zwar auch mit der Zeit – die gesamte Kultur ändert sich – aber Menschen verändern ihre Bedürfnisse und ihr Verhalten ebenso wenig von heute auf morgen wie Löwen, und wenn doch, dann ist das eher ein Fall für den Therapeuten. Grundbedürfnisse von Menschen sind sogar seit Jahrtausenden gleich geblieben. Es gibt Bereiche, in denen sich Konsumenten schneller an neue Konsum-Moden anpassen*. Das dauert aber dennoch selten Wochen oder Monate, sondern Jahre. So wurde das Smartphone 2007 erfunden. Zwei Jahre später hatten mal gerade 6,3 Mio Menschen in Deutschland ein Smartphone, 2018, also über 10 Jahre später, sind es 58 Mio (Quelle: statista). Oft fühlen sich die Konsumenten eher von den ständigen Neuerungen überfordert, es nervt sie, ständig ihre Gewohnheiten anpassen zu müssen und sie verweigern nicht selten die Akzeptanz von Innovationen, vor allem dann, wenn diese ihnen im Bezug auf ihre Bedürfnisbefriedigung keinen Vorteil bieten. In der Erforschung der Konsumentenbedürfnisse hat man es also nicht mit „sich ständig ändernden Bedingungen“ zu tun.

(* eine Sonderstellung nehmen sog. “Wildcards” ein. Das sind plötzliche Ereignisse – wie Katastrophen – bei denen sich menschliches Verhalten verhältnismäßig schnell ändert. Es setzt aber nach wie vor auf menschliche Grundbedürfnisse auf, die gleich bleiben, z.B. Sicherheit. Diese werden dann nur auf andere Art realisiert.)

Da man die Bedürfnisse oder das Problem am Anfang des Prozesses aber noch gar nicht kennt, kann man nicht genau wissen, was man die Konsumenten fragen muss, um die entscheidenden Erkenntnisse zu gewinnen. Hier bietet sich qualitative Forschung an, die agiler ist als quantitative Forschung. Man legt im Vorfeld keinen starren, unveränderlichen Fragebogen fest, sondern hält den Leitfaden noch relativ offen. Stellt man dann bei den ersten Interviews fest, dass die Befragten ganz andere Themen bewegen, als man vermutet hat, kann man problemlos vom Leitfaden abweichen und ihn für folgende Interviews abändern. Pilotphasen und Zwischenanalysen machen bezüglich der Agilität auch Sinn.

(Achtung! Ich spreche hier über Grundlagen-, Motiv- oder Trendforschung, die vor einem Ideenentwicklungsprozess durchgeführt wird, nicht über das nachträgliche Abtesten von Ideen. Nachträgliches Abtesten ist zwar viel häufiger der Fall in der Marktforschung. Es gibt aber auch Forschung, die erst einmal grundlegend ermittelt, wie es um die Bedürfnisse, Wünsche und Probleme von Konsumenten in bestimmten Produktbereichen bestellt ist)

Man kann es aber  – je nach Branche – dennoch mit sich ständig verändernden Bedingungen zu tun haben. Innoviert man in einem Bereich, der stark von technischer Entwicklung beeinflusst wird, z.B. IT, muss man während des Prozesses beständig die technische Entwicklung beobachten, um die eigene Innovation nicht auf veralterter Technik aufzusetzen. In Branchen, in denen die Innovationszyklen sehr kurz sind, kann es auch passieren, dass man noch an einer Idee entwickelt, während die Konkurrenz eine ähnliche Idee längst auf den Markt gebracht hat. Man sollte also beständig auch während des Prozesses die technischen Trends und die Entwicklungen am Markt beobachten und sich agil daran anpassen.

Agilität ist in der Kreationsphase sehr wichtig, in der Forschungsphase hat man es mit dem Forschungs“gegenstand“ Mensch und daher nicht mit „sich ständig ändernden Bedingungen“ zu tun. Um die richtigen Themen anzusprechen, bietet sich dennoch eine agilere Forschungsmethode an. Darüber hinaus kann man es – je nach Branche – mit schnellen technischen Veränderungen und kurzen Innovationszyklen zu tun haben.

Typische Innovationsprozesse

Oft sehen typische Innovationsprozesse folgendermaßen aus: Es werden zuerst Ideen entwickelt, meist mehr oder minder am grünen Tisch. Dann werden die Ideen an Konsumenten getestet, sie werden verbessert. Es werden Prototypen erstellt. Diese werden wieder getestet, also Entwickeln, Testen, Entwickeln, Testen, etc. Man könnte auch sagen: eine Idee versuchen und prüfen, ob sie funktioniert oder ein Irrtum ist. Ein neuer, verbesserter Versuch und prüfen, ob die Verbesserung funktioniert. Hier handelt es sich also um einen typischen Versuch- und Irrtum-Prozess, mit der Absicht, aus den Irrtümern zu lernen und sich so schrittweise dem Ziel zu nähern.

Versuch- und Irrtum-Prozesse sind iterativ. Agile Prozesse sind iterativ. Aber ist auch umgekehrt jeder iterative Prozess agil, also auch Versuch und Irrtum?

Versuch und Irrtum lässt sich in der Kreationsphase oft nicht vermeiden, weil man sich auf unbekanntes Terrain begibt. Man kann allerdings darüber streiten, ob es sich dabei um eine Methode handelt oder eher um ein manchmal notwendiges Übel. Wenn man in unbekannten Gebieten fischt, gibt es ggf. noch keine besseren Methoden. Wenn man wenig Ahnung hat, kennt man die besseren Methoden nicht. Zickt mein Computer, mache ich mich auch daran, das Problem mithilfe von Versuch und Irrtum zu beseitigen, aber nicht, weil ich das für die richtige Methode halte, sondern weil ich nicht weiß, wie man bei Computern Probleme gezielt analysiert und löst.

Folgen meinen Versuchen, den Computer zu reparieren, beständig Irrtümer, gebe ich ihn irgendwann entnervt dem „PC-Doktor“. Der kennt sich mit Analyse und Lösung von Computerproblemen aus. Fragt man berufsmäßig arbeitende Kreative, z.B. Erfinder, stellt man vor allem bei den erfahrenen ebenfalls fest, dass sie weniger mit Versuch und Irrtum vorgehen, weil sie mit der Zeit mehr und mehr Strategien erlernt haben, mit denen sie bei der Ideenentwicklung gezielter vorgehen können, „Kreativ-Doktor“ sozusagen. Gleichzeitig haben sie aber in der Regel auch kein Problem damit, ihre Strategien – wenn nötig – agil zu verändern, also die Methoden und Verfahren zur Ideengenerierung (z.B. Kreativtechniken) an Aufgabenstellung oder Prozess anzupassen.

Definieren wir „agil“ als Anpassung an „sich ständig verändernde Bedingungen“, fällt Versuch und Irrtum in Bezug auf Konsumenten-Bedürfnisse nicht darunter. Würden Konsumenten ein und dieselbe Idee heute gut finden, morgen schlecht und übermorgen wieder gut, nützt Versuch und Irrtum auch nichts. Man tappt im Dunkeln, versucht sich zunehmend der richtigen Lösung anzunähern und weiß sich nicht besser zu helfen als mit Versuch und Irrtum. Man passt sich also nicht an „sich ständig verändernde Bedingungen“ an, sondern eher an die eigene Ahnungslosigkeit.

Versuch und Irrtum wendet man dann an, wenn die Bedingungen unbekannt sind, wenn man im Dunkeln tappt oder keine Ahnung hat, mit welchen gezielteren Strategien man vorgehen kann.  Das kann in kreativen Prozessen mitunter unvermeidlich sein. Versuch und Irrtum ist aber nicht mit “agil” gleichzusetzen.

Innovationsprozesse, die auf Versuch und Irrtum setzen, sind also gar nicht agil. Jetzt war aber mein Plan, einen Artikel über Agilität zu schreiben. Also kann ich eigentlich nicht über Versuch und Irrtum weiter schreiben. Weil solche wie oben beschriebenen Versuch- und Irrtum-Prozesse jedoch gerne als „agil“ bezeichnet werden (z.B. beim allseits beliebten Design Thinking), bleiben wir trotzdem noch eine Weile beim Thema Versuch und Irrtum (agiles Umdenken muss mir auch beim Schreiben von Artikeln gestattet sein!).

Ist Versuch und Irrtum denn effizient?

Ein idealer und hoch effizienter Innovationsprozess läuft so: Das Problem wurde sofort erkannt und es wurde – ohne Umwege – eine geniale Lösung gefunden. Fertig! Das geht am schnellsten. Je mehr man mit Versuch und Irrtum, also quasi im Blindflug herum doktert, je mehr iterative Schleifen nötig sind, desto ineffizienter wird es. Agile Prozesse sollen aber möglichst effizient sein. Man versucht daher oft, Effizienz zu erreichen, indem man die einzelnen iterativen Schritte möglichst beschleunigt und damit den Gesamtprozess “verschlankt”:

Man entwickelt ganz schnell ganz viele Ideen, i.d.R. eher unsystematisch, denn strategische Methoden für Ideenentwicklung sind oft gar nicht bekannt und dauern auch zu lange. Man testet die kaum erdachten Ideen unmittelbar beim Konsumenten ab, um Irrtümer möglichst früh erkennen (“umittelbar” am Konsumenten wird auch gerne als “nah” am Konsumenten umbenannt, weil man in den Online-Test-Panels einen kurzen Draht zum Konsumenten hat. “Nah” im Sinne von Verständnis für den Konsumenten, ist aber etwas völlig anderes). Die Tests selbst sind ebenfalls quick´n dirty: Daumen hoch oder runter. Eine gründliche Analyse der Bedürfnisse oder Irrtümer kostet zu viel Zeit. Die Beschleunigung  geht zulasten der Qualität und ist dann auch nicht „effizienter“, sondern bestenfalls einfach nur „schneller“.

Je mehr man in einem Versuch- und Irrtum-Prozess Effizienz durch höhere Geschwindigkeit der Einzelschritte erreichen möchte, desto mehr gerät man in einen Teufelskreis höherer Ineffizienz:

  • Je mehr Zeit man bei der vorherigen Analyse der Konsumenten-Bedürfnisse, also dem Erkennen und Verstehen der grundlegenden Probleme spart (also pfuscht), desto mehr fischt man im Trüben und desto mehr iterative Schleifen sind nötig. Auch eine systematische Ideenentwicklung, die strategisch gezielt auf der Analyse aufsetzt, ist nicht möglich
  • Je weniger systematisch strategisch man bei der Ideenentwicklung vorgeht, umso mehr Versuche (Ideen) braucht es: Der nötige Heuhaufen an Ideen wird größer, während die Menge der richtigen Stecknadeln im Hauhaufen aber nicht unbedingt zunimmt, weil es womöglich der falsche Heuhaufen ist (auch hier rächt sich die gepfuschte Analyse)
  • Je mehr Ideen man testen muss, desto weniger Zeit hat man, die grundlegenden Irrtümer, die sich beim Test zeigen, gründlich zu analysieren, um genau zu verstehen, was man bei der nächsten Schleife anders machen muss. Die Folge: noch mehr Schleifen sind nötig

Kleine Anekdote: Von einem Produkt, das ich gerade entwickle, liegen hier schon 6 Prototypen aus dem 3D Drucker auf dem Tisch und keiner funktioniert. Ich gebe zu, ich habe sowohl in der Konstruktionsphase nicht lange überlegt, nur eine Skizze angelegt. Ich war zu ungeduldig. Auch die Fehlversuche habe ich nicht gründlich genug analysiert, denn ein Druckdurchgang dauert fast 8 Stunden und wenn ich am nächsten Tag einen neuen Druck starten möchte, bleibt am Abend davor nicht viel Zeit zum Analysieren und Verbessern des Modells.

Eine gründliche Analyse und eine systematisch durchdachte Ideenentwicklung braucht natürlich mehr Zeit als eine gepfuschte (und kommt auch irgendwie spießig unagil daher). Vermeidet man durch die gründliche Analyse aber einige iterative Schleifen, ist es im Ganzen effizienter.

Bringt Versuch und Irrtum denn wenigstens gute Ideen hervor, wenn es schon ineffizient ist?

Eher nicht! Weil man nicht genau analysiert hat, trifft oft keine Idee im Heuhaufen genau ins Schwarze. Eigentlich müsste man dann Tabula rasa von vorne anfangen. Das dauert aber viel zu lange. Immerhin wurde eine der Ideen von den Konsumenten nicht ganz so schlecht bewertet, sondern so „lala“. Aus der Zeitnot heraus macht sich dann gerne der Irrglaube breit, man könne aus der „Lala“-Idee eine gute machen, indem man sie ein bisschen optimiert. Es bleibt dann aber eine optimierte „Lala“-Idee, die dann aber schon besser ist als die nicht-optimierte und daher gut genug, denn eine noch bessere war im Heuhaufen nun mal nicht dabei.

Disruptive Ideen werden durch den Irrglauben verhindert, eine Revolution könne durch eine Evolution entstehen, also schlechte Ideen würden durch Nachbesserungen zu richtig guten.

Es gibt aber noch weitere Nachteile bezüglich der Qualität der Ideen bei beschleunigtem Versuch und Irrtum

  • Bewegt man sich zu früh aus der Ideenentwicklungsphase in die Verbesserungsphase, verringert man die Chance richtig guter Ideen, denn richtig gute Ideen brauchen oft viel Zeit. Man muss z.B. mal drüber schlafen oder sie noch mehrmals drehen und wenden, bevor sie gut werden
  • Testet man sehr unausgereifte Ideenansätze, sehen die oft wie hässliche Entlein aus. Die Konsumenten aus dem Test-Panel haben vielleicht nicht das Vorstellungsvermögen aber garantiert nicht die Zeit, zu antizipieren, dass die Idee Potenzial zum schönen Schwan hat
  • Menschen lehnen Fremdes eher ab. Testet man Ideen nur quick´n dirty anstatt mit Konsumenten über das Für und Wider ausführlich zu sprechen, findet man nicht heraus, ob Ideen nur abgelehnt werden, weil sie besonders fremdartig erscheinen. Dadurch werden gerade die ungewöhnlichen Ideen (disruptive Ideen sind oft ungewöhnlich) aussortiert
  • Konsumentenbedürfnisse sind eher konservativ und träge. Vor 6 Jahren haben die meisten Menschen noch gesagt, sie würden für Musikdienste wie Spotify kein Geld bezahlen. Wäre die Idee durch einen Test gegangen, wäre sie garantiert durchgefallen. Heute ist es schon normal und fast alle finden es toll. Mit Ideen Abtesten kann man also keine zukunftsorientierten Ideen entwickeln. Dafür müsste man eher beständig Trendforschung betreiben

Fazit

Agile Prozesse sind nötig, wenn man sich an “sich schnell verändernde Bedingungen” anpassen muss. Die iterativen Schleifen haben aber auch einen Nachteil, besonders wenn es sich dabei – genau betrachtet – nur um herkömmliche Versuch-und-Irrtum-Schleifen handelt. Fünf Schleifen dauern einfach länger als nur zwei. Also versucht man an einer anderen Stelle zu beschleunigen, indem man die einzelnen Schleifen selbst verschlankt. Hier gerät man aber in einen Teufelskreis. Je mehr Zeit man bei der gründlichen Analyse spart – das gilt für die Analyse der Konsumentenbedürfnisse am Anfang des Prozesses, ebenso wie für die Analyse der Irrtümer beim Testen – desto “blinder” werden die Versuche und desto mehr Schleifen sind ggf. nötig, bis man die richtige Stecknadel im Heuhaufen gefunden hat. Man wird also zunehmend ineffizient, je mehr man versucht durch Verschlankung der Einzelschritte Effizienz zu erreichen.

Von einer Innovationsmethode würde man doch erwarten, dass sie gute Ideen hervorbringt und so effizient wie möglich ist. Da beides auf Versuch und Irrtum nicht zutrifft, sollte eine gute Innovationsmethode doch eher helfen, Versuch und Irrtum zu vermeiden oder zumindest einzuschränken, anstatt es als neue effiziente agile Methode zu adeln. Eine gute und effiziente Innovationsmethode unterscheidet die Stellen im Prozess, an denen Versuch und Irrtum nicht vermeidbar ist, von den Stellen, an denen es unnötig und kontraproduktiv ist: Wo sollte man beständig die Augen auf halten, ob sich etwas an den Bedingungen verändert hat, z.B. technische Entwicklungen und Markt (woran innoviert gerade die Konkurrenz)? Wo sollte man besser Sorgfalt und Zeit auf eine gründliche Analyse verwenden? Z.B. bei den grundlegenden Bedürfnissen der Konsumenten, bei denen es sich nicht um “sich schnell ändernde Bedingungen” handelt.

Beschleunigen kann man das Erreichen eines guten Ergebnisses, also die Entwicklung erfolgreicher Innovation nicht nur durch eine gründliche Analyse, sondern auch, indem man durchdachte Strategien bei der Ideenentwicklung nutzt. So setzt die Erfindungsmethode TRIZ z.B. auf ein raffiniertes Verfahren, wie man gezielter zu qualitativ hochwertigen Ideen kommt. Bestenfalls produziert man gar keinen Heuhaufen, um dann nach passenden Stecknadeln darin suchen zu müssen, sondern man produziert gleich passende Stecknadeln. Oder man sorgt zumindest möglichst dafür, dass man den richtigen Heuhaufen an Ideen produziert, der möglichst klein ist und möglichst viele passende Stecknadeln enthält (Das ist dann effizient!)

(An dieser Stelle könnte jetzt Werbung für unsere selbst entwickelte Methode „InsightArt“ stehen, die vom Prinzip her der Methode TRIZ ähnelt. Wir werden aber für Klicks auf unserem eigenen Blog sowieso nicht bezahlt. Link gibt’s auch nicht, guggst du Google …)

Merksätze für ein entspanntes Leben im Zeitalter der Agilität:

  • Glaube nicht, dass alles agil ist, wo agil drauf steht. Manchmal ist es auch nur herkömmliches Chaos, herkömmliches „As soon as possible“ oder alt-bekanntes „Versuch und Irrtum“, auch Pfusch bleibt Pfusch
  • Lerne zu unterscheiden, wo Agilität sinnvoll ist und wo nur Mode-Fake und arbeite nur in den Bereichen agil, wo es Sinn macht
  • Trachte danach, iterative Versuch- und Irrtums-Schleifen möglichst zu vermeiden – denn sie sind nicht effizient, indem du alles daran setzt, gut, detailliert, fundiert und “tief” zu analysieren
  • Lass dir nicht einreden, dass gründliches Analysieren heute grundsätzlich uncool ist, weil es nicht agil ist. Lieber uncool als ein ineffizienter Prozess mit qualitativ minderwertigen Ideen
  • Nutze deine Gewissheit und Kompetenz im Umgang mit sich verändernden Bedingungen. “Agil” ist dein zweiter Vorname, aber dein erster heißt “gründliche Analyse” und der gefällt dir noch besser und ist auch dein Rufname
  • Lerne beim manchmal unumgänglichen Versuch und Irrtum in der Kreationsphase aus den Fehlern und zwar am besten so, dass du für das nächste Projekt Strategien entwickelt hast, wie du Versuch- und Irrtums-Schleifen auch bei der kreativen Ideenentwicklung möglichst vermeiden kannst
  • Und zum Schluss bedenke: Das Leben ist agil. Das Leben ist Anpassung an sich ständig verändernde Bedingungen. Sonst hätte die Evolution nicht funktioniert. Es ist also kein neuer Trend, agil zu sein, sondern war immer schon – dort wo es nötig ist, aber auch nur dort! – ein Vorteil

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