Der Geistesblitz und wie er in die Welt kam: Episode 6
Vergleich mit bisheriger Kreativforschung
Dieser Beitrag ist der 7. Teil einer Serie zu unserer Studie zum kreativen Denken.
Zum Prolog geht es hier.
Zur Episode 1, “Visual Thinking”: hier.
Zur Episode 2, “Kreative Haltung”: hier
Zur Episode 3, “Die kreative Verfassung”: hier
Zur Episode 4, “Der große Aha-Moment”: hier
Zur Episode 5, “So oder so, der kreative Prozess”: hier
Sollen wir uns darüber ärgern, dass schon vor uns Forscher, die das kreative Denken erforscht haben, auf ähnliche Ergebnisse gekommen sind wie wir, oder uns darüber freuen, dass wir hier noch einmal einige Forschungsergebnisse bestätigen konnten? Da es beim Forschen nicht um kreative Originalität geht, sondern darum Erkenntnisse zu gewinnen, neigen wir zu Zweiterem.
Es gibt aber auch Erkenntnisse aus unserer Studie, die von den bisherigen Forschungsergebnissen abweichen. Zuerst aber die Übereinstimmungen:
Analyse der Faktoren von kreativem Denken
J.P. Guilford, amerikanischer Persönlichkeits- und Intelligenzforscher, stellte in den 1950er Jahren einen Katalog von Faktoren zusammen, die wesentlich für das „divergente“ (kreative) Denken sind (dabei untersuchte er vor allem Schriftsteller): Wortgeläufigkeit, Assoziationsfähigkeit, Ausdrucksgeläufigkeit, Ideengeläufigkeit, visuelles und auditives Gedächtnis, Ausdrucksfähigkeit, spontane Flexibilität, adaptive Flexibilität, Originalität, Visualisierung und Evaluation.
Hier finden wir Parallelen zu unserer Studie, z.B. Assoziationsfähigkeit, Flexibilität und Visualisierung. Die Liste der Faktoren von Guilford erklärt aber noch nicht viel, vor allem nicht, wie kreatives Denken im Prozess funktioniert, oder warum manche Menschen diese Faktoren mehr zu erfüllen scheinen als andere. Es lässt sich zu wenig daraus ziehen, wenn man z.B. das Ziel hat, kreativer zu werden oder über eine kreative Flaute hinweg zu kommen.
Sinnlich-gestalthaftes Denken und Intuition
Der Gestaltpsychologe Rudolf Arnheim ermittelte Funktionen der (visuellen) Wahrnehmung, die als eine Art Vorleistung des Auges eine entscheidende Rolle für den kreativen Schaffensprozess besitzen. Wir müssten eigentlich unseren Augen viel dankbarer sein, dass sie für uns bei der Ideenentwicklung schon derart in Vorleistung gehen: z.B. das Nivellieren von Ungleichmäßigkeiten (Unschärfentoleranz, siehe Episode 5), das Verdichten / Vereinfachen und Schaffen von „Ganzheiten“, das Akzentuieren von Neuem durch Pointieren von Unterschieden, der Akzentwechsel durch bewusste Fixation, oder das Umkehren von Hintergrund und Vordergrund (Figur / Grund – Verhältnis). Mit ein wenig Fantasie sieht man hier schon die ein oder andere bekannte Kreativtechnik durchblicken.
„Idee“ aus dem altgriechischen übersetzt, heisst auch: ‚Gestalt‘; ‚Erscheinung‘; ‚Aussehen‘; ‚Urbild‘. Es legt damit auch schon nahe, dass kreatives Denken auch irgendetwas mit Wahrnehmen zu tun haben könnte, zumindest aus Sicht der alten Griechen, aber die waren ja nicht die dümmsten Denker.
Dass aber auch Denken an sich (ohne kreativ) eng mit der Wahrnehmung zusammen hängt, zeigt sich auch in hierzulande gebräuchlichen Begriffen wie: „erfassen”, “begreifen”, “durchschauen“ oder „erkennen“, oder in der teils beachtlichen Denkleistung von Primaten, die keine verbale Sprache besitzen, also daher auch nicht in Worten (verbal-logisch-rational) denken können. Umso erstaunlicher, dass sie aber dennoch kreativ Probleme lösen können. So zeigte der Gestaltpsychologe Wolfgang Köhler mit seinen Primaten-Experimenten auf Teneriffa (1914) im Detail, wie Primaten einfache Aufgaben durch ‚Denken ohne Worte‘, durch handelndes und sinnliches Erfassen von Zusammenhängen lösen (z.B. eine Banane mit einem Stock erreichen).
Die Vermutung, dass selbst unsere höchsten geistigen Operationen auf haptisch-visuellen Vorstellungen beruhen, ist nicht abwegig und lüftet vielleicht schon das Geheimnis, was eigentlich „intuitives Denken“ genau sein soll (ein brodelndes Bauchgefühl? Das weist mehr auf falsche Ernährung oder Darmviren).
Siehe dazu auch das Beispiel aus Episode 1: Wollen wir einen Nagel in die Wand schlagen und haben keinen Hammer, scannen wir zuerst mit dem Auge unsere Umgebung ab, um etwas zu finden, das ähnliche Eigenschaften wie ein Hammer hat. Fällt unser Blick auf einen Stein, müssen wir gar nicht erst lange drüber nachdenken oder logisch abwägen, sondern haben sofort verstanden, dass der Stein eine Lösung sein könnte, die man zumindest mal ausprobieren könnte – eigentlich nicht anders als der Primat im Experiment von Wolfgang Köhler. Assoziationsfähigkeit, visuelles und auditives Gedächtnis, spontane Flexibilität, und adaptive Flexibilität aus der Liste von J.P. Guilford (siehe oben), kann man den Primaten hier auch durchaus zugestehen.
Eintauchen und Verschmelzen
Der amerikanische Psychologe Mihaly Czikszentmahlyi hat zwischen 1990 und 1995 mit seinem Team von der University of Chicago 91 besonders kreative Persönlichkeiten interviewt, darunter zahlreiche Nobelpreisträger. Auch er ermittelte dabei wichtige Erkenntnisse. So entdeckte er z.B. den sog. „Flow“, einen glücklichen Zustand konzentrierter Vertiefung, Trance-ähnlich, der sich aber nicht nur beim kreativen Arbeiten einstellt, sondern z.B. auch bei Leistungssportlern.
Ähnlich könnte man auch die Ergebnisse der Experimente des amerikanischen Psychologen und Gehirnforschers Colin Martindale (University of Maine) aus den 1970er Jahren deuten, in denen der Zusammenhang von Alpha-Wellen (treten verstärkt im Zustand leichter Entspannung bzw. entspannter Wachheit auf) und Kreativität untersucht wurde. Er stellte fest, dass Nicht-Kreative in normalen Situationen grundsätzlich entspannter sind (produzierten etwa 10% mehr Alpha-Wellen) und Kreative unruhiger. Wenn aber die Teilnehmer eine originelle Geschichte erzählen sollten, erhöhte sich bei den Kreativen „wie auf Knopfdruck“ die Alpha-Wellen Aktivität. Entspannung führt also nicht zu mehr Kreativität, sondern umgekehrt: Kreative scheinen das kreative Arbeiten zur Entspannung zu brauchen.
So viel und so kurz zu den Übereinstimmungen der Ergebnisse unserer Studie mit anderen Forschungsergebnissen. Aber was ist neu?
Kreative Haltung
Noch einmal kurz beschrieben ging es bei der kreativen Haltung darum, dass kreative Menschen mehr Spaß an der Veränderung haben und Lust auf Neues, als dass sie Angst davor haben, gewohnte Pfade zu verlassen und damit die Sicherheit ein Stück weit aufzugeben. Da wir aber keine gesamten Lebensgeschichten erforscht haben, ließ sich nicht feststellen, ob es sich dabei vielleicht schon um etwas Angeborenes handelt, oder was die Eltern falsch gemacht haben, dass sie sich so ein unruhiges Kind eingehandelt haben, das dann wohlmöglich Kunst studieren will, anstatt etwas Ordentliches.
Man kann nicht einmal sagen, selbst wenn klar wäre, dass es an der Erziehung lag, ob man als Erwachsener auch noch an seiner kreativen Haltung etwas verändern kann oder dann bereits Hopfen und Malz verloren gegangen sind. Für Arbeitgeber, die kreative Arbeitnehmer einstellen wollen, kann man aber zumindest sagen, auf was sie beim Einstellungsgespräch achten sollen. Man kann aber auch gleichzeitig die Warnung aussprechen, dass sie sich damit vermutlich eher anstrengende Mitarbeiter ins Haus holen. Dauernd wollen die etwas verändern!
Sinnlich-gestalthaftes Denken, die Neuauflage
Zwar ist auch schon anderen aufgefallen, dass das sinnlich-gestalthafte Denken möglicherweise eine wichtige Rolle im kreativen Denken spielen könnte (siehe oben). Wir weisen dieser Qualität als Ergebnis unserer Studie jedoch eine ganz entscheidende Rolle zu. Möglicherweise wird oft auch in Forschungsstudien die Aufmerksamkeit zu wenig auf diesen Denkmodus gelegt, weil man zu sehr davon ausgeht, dass „richtiges“ Denken immer verbal sein muss. So hat auch Mihaly Czikszentmahlyi (siehe oben) in seiner Studie den sinnlichen Phänomenen wenig Bedeutung zuerkannt, obwohl in den wörtlichen Zitaten der kreativen Befragten seiner Studie Formulierungen wie „Dinge entfalten sich wie ein Gemälde“, oder „neue Blickwinkel werden eingenommen“ etc. häufig vorkommen, wenn man drauf achtet.
Vielleicht liegt es daran, dass das sinnlich-gestalthafte Denken in unserer verbal zentrierten Kultur keinen so guten Ruf genießt. Der Bildwissenschaftler Lambert Wiesing macht dafür das Aufkommen der Idee von der Dualität von Körper und Geist verantwortlich. Das Denken wurde nun dem Spüren entgegen gesetzt und in einer Geist- / Körperspaltung entsinnlicht. Auch wenn Alexander Gottlieb Baumgarten noch die ästhetisch-sinnliche Erkenntnis der rational-logischen ergänzend zur Seite stellen wollte, wenn auch als eher niedergestellte Art des Denkens, erhielt das sinnliche Denken im Laufe der Zeit den Ruf, ein primitives Denken zu sein, das eher etwas für Kinder und primitive Kulturen ist und dass es in jedem Fall unbewusst ist und nur das verbale Denken das Prädikat „bewusst“ verdient.
Die Wahrnehmung steht auch immer in Verdacht, den Menschen zu täuschen. Das ist sicher nicht falsch, trifft aber auf das rationale Denken ebenfalls zu, bzw.: Wie oft denkt man sich selbst eine rationale Erklärung für sein eigenes irrationales Verhalten aus, mit der man sich vor allem selbst täuscht?
Der Aha-Effekt, nur ein Wahrnehmungsmechanismus?
Wir hatten – aufgrund unserer Forschungsergebnisse – die These aufgestellt, dass der Moment des kreativen Einfalls auf einem bekannten Mechanismus der Wahrnehmung beruht (siehe Episode 4). Stimmt das, wäre das natürlich ein bisschen schade, weil Geniemythos oder geheimnisumwobene unbewusste Geschehnisse in unserem Gehirn klingen natürlich viel spannender, und wieso einfach, wenn´s auch geheimnisvoll geht? Wer den Aha-Effekt lieber für sich als ein unerklärliches Mysterium bewahren möchte, muss nicht mit unserer These übereinstimmen. Und immerhin bleibt ja immer noch ein Geheimnis übrig, nämlich woher die kreative Haltung kommt.
Als Plädoyer aus unserer Studie ziehen wir zweierlei:
- Die kreative Haltung sollte stärker berücksichtigt werden und wenn man Menschen nicht oder nur schwer zu einer solchen Haltung bewegen kann, ist die Empfehlung: Man halte sich an Menschen, denen diese Haltung bereits zu Eigen ist.
- Das sinnlich-gestalthafte Denken sollte rehabilitiert werden. Es ist nicht primitiv, auch wenn wir es mit Primaten gemeinsam haben (nicht alles, was wir mit Primaten gemeinsam haben, ist deshalb primitiv!). Für das Selbstbewusstsein des Menschen kann man sich ja auch stattdessen einbilden, Menschen hätten im sinnlich-gestalthaften Denken eine höhere Intelligenzstufe erreicht und sind nicht nur deshalb intelligenter als Primaten, weil sie die verbale Sprache und das logisch-rationale Denken erfunden haben. Für mehr kreatives Denken sollte man dem sinnlich-gestalthaften Denken die Bedeutung einräumen, die ihm dafür gebührt.
Welche Ableitungen für Beruf und Freizeit man aus der Studie ziehen kann … dazu mehr in der nächsten Episode
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